Weberei F. A. Kreißig & Sohn - page 32

von seinem Sitz im Webstuhl konnte er seinen Garten uebersehen, der an
die Strasse grenzte und indem einige grosse Birnenbaeume standen, die
gute und reiche Frucht trugen.
Fuer uns Jungen aus dem unteren Teil der Stadt, die wir auf unserem
Schulweg dort vorueber mussten, war das eine grosse Versuchung dann
und wann eine herabgefalle Birne dort herauszuholen. Das verdross
unseren biederen Webermeister aber sehr, sodass er hoellisch aufpasste,
wenn eine Birne vom Baum fiel, worauf er jedesmal zu seiner Frau sagte:
„Karliene, si's eene Berne gegleckt". Sie musste sogleich vom Spulrad
aufstehen und sie hereinholen, damit sie vorm Zugriff durch Kinder
bewahrt wurde.
Das gute Verhaeltnis, das zwischen Fabrikant und Heimwebern bestand,
drueckte sich auch dadurch aus, dass mein Vater und meine Mutter im Jahr
mehrere Patenbriefe bekamen, wobei es wahrscheinlich nicht so sehr um
das christliche Patenamt gegangen ist, als vielmehr darum eine moeglichst
gute Summe Geldes als Patengeschenk eingebunden zu bekommen.
Die Heimweber, ihre Frauen oder die groesseren Kinder kamen zu uns ins
Geschaeft um die Kett- und Schussgarne abzuholen, die fertige Waren
abzuliefern und dabei am Sonnabend den Lohn zu holen. Das ging dann
immer so bis gegen neun Uhr abends bis die letzten ihr Geld geholt hatten
und ich weiss, dass mein Vater kein Wirtschaftsgeld gab, bis nicht der
letzte Arbeiter ausgezahlt war. Es kam deshalb doch oefter vor, dass meine
Mutter zu so spaeter Stunde noch nicht den Sonntagsbraten im Hause
hatte und der musste fuer die grosse Familie ein ganz huebscher Brocken
sein. Nun, wenn es doch mal ganz schief ging, brauchten wir dennoch nicht
zu hungern, denn sie konnte im Bedarfsfalle immer auf das Poekelfass, die
Raeucherkammer oder den Wassertrog im Hof, in welchem vom
September bis April die schoensten fetten Karpfen aus eigenem Teich
schwammen, zurueckgreifen. Also Hunger brauchten wir nicht zu leiden.
Aber es drueckt sich auch hier in der scheinbaren Knauserigkeit meines
Vaters, nur sein Grundsatz aus, den er auch mir in meiner Jugend
eingeimpft hat und den ich immer befolgte: "Wer seine Schulden bezahlt,
verbessert seine Gueter".
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