Weberei F. A. Kreißig & Sohn - page 28

„Heute, am 19. Januar 1964, da ich diese Niederschrift beginne, waere
mein Vater Reinhold Kreissig 100 Jahre alt geworden. Was ich in diesen
Blaettern festhalten will, sei ihm zum ehrenden Gedenken geschrieben. Ich
habe ihm viel zu verdanken, denn er hat bis zu meinem 20ten Lebensjahr
meine Erziehung und Ausbildung bestimmt.
Nach dem ersten Weltkrieg 1919 nahm er mich zum Wiederaufbau der
Fabrikation mit in die Firma als Angestellten hinein, er hatte waehrend der
letzten Kriegsjahre die Weberei zwangsweise stillegen muessen - und ich
war voll Tatendrang so schnell wie moeglich die Bettdecken Heimweberei
wieder in Gang zu bringen. Rueckschauend kann ich feststellen, dass mein
Vater vorausschauend und weitherzig genug war, mir schon sehr bald die
alleinige Fuehrung zu ueberlassen. Das war nicht leicht fuer ihn und lief
durchaus auch nicht immer reibungslos ab, denn er hat bis zu seinem Tod
1950 weiter fleissig mitgearbeitet. Ich kannte eine Reihe von Fabrikanten
Vaetern, die ihre Soehne im eigenen Betrieb in der Entfaltung ihrer
Faehigkeiten gehindert und unterdrueckt haben. Mir war mein Vater
immer eine grosse Hilfe und Ermutigung im Auf- und Ausbau unserer
Firma. Stolz war ich in meiner Kindheit, wenn Woche fuer Woche volle
Spediteurladungen von Exportkisten und seetuechtig verpackten Ballen mit
baumwollnen Bettdecken nach Uebersee zum Bahnhof gefahren wurden.
Suedamerika, der Orient, Australien, Indien und Afrika waren die
Bestimmungslaender. Ich glaube aber auch, dass das auf Kisten und Ballen
in grossen Lettern aufsignierte "Made in Germany“ mich damals auch
schon etwas stolz auf mein Vaterland gemacht hat. Diese Specialisierung
auf das Exportgeschaeft war bis zum Kriegsausbruch 1914 persönlicher
Verdienst meines Vaters. Er hat zu seinem Teil dazu beigetragen, dass
Lichtenstein-Callnberg bis in fernste Winkel der Welt bekannt wurde.
Lichtenstein-Callnberg 1919 noch 2 getrennte, aber ineinander
gewachsene Staedte, liegt an den Auslaeufern des Erzgebirges und
beherbergt eine ganze Reihe, zum Teil sogar ganz bekannter
Industriebetriebe der Textilbranche. Diese kleine aber schoen gelegene
Stadt musste ich 1951 aus politischen Gruenden verlassen und konnte nur
mitnehmen, was ich auf dem Leibe trug. Alles was mir blieb, war die
Erinnerung an eine schoene und sorglose Kindheit, an erfolgreiche
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